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Pressetext Mitgliederausstelung

Zur Ausstellung Reiseskizzen wurden alle Mitglieder der Gesellschaft der Freunde junger Kunst eingeladen, sich mit Ihren Werken zu beteiligen. Gleichgültig ob Foto, Zeichnung oder Aquarell, alles was in einen Bilderrahmen vom Format 24 x 30 cm passt, konnte eingereicht werden; maximal drei Arbeiten. Fast 150 Mitglieder haben sich mit über 400 Bildern beteiligt, und geben einen Eindruck von dem, was sie auf Ihren Reisen gesehen haben, was sie beschäftigte und was sie für aufhebenswert halten. Eröffnet wurde dieser einmalige Bummel durch vielfältige Erinnerungswelten am Sonntag, 1. Oktober mit einer Einführung des Baden-Badener Schriftstellers Otto Jägersberg, die man im Folgenden nachlesen kann.

 

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Edith Oellers

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Brigitte Nowatzke-Kraft

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Wolfgang Müller

Otto Jägersberg:

Joseph und Maria begaben sich vor langer Zeit auf eine weite Reise von Nazareth in Galiläa nach Bethlehem in Judäa. Beide haben keine Reiseskizzen gemacht. Auch die 3 Könige, die zu dem nun stattfindenden Ereignis anreisten, hinterließen keine Reiseskizzen. Das übernahmen später die Leonardo, Dürer, Raffael, Rembrandt…

Weitaus weiter geht die Reise der Raumsonde Voyager 2 ins äußere Sonnensystem, bereits seit 40 Jahren unterwegs. Sendet unentwegt Skizzen in Form von Aufnahmen, Signalen, und anderen Impulsen der Messinstrumente nach Pasadena, Kalifornien, wo die Experten der Nasa scheinbar ihr Entzücken daran haben. Irgendwann sendet Voyager 2 keine Skizzen mehr, rast aber mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel weiter, wird in 296.000 Jahren mit 4 Lichtjahren Distanz am Sirius vorbeifliegen und es wird sie noch geben, wenn die Erde samt allem, was auf ihr ist, längst nicht mehr existiert. 

Wie kommt der Reisende voran. Geht er zu Fuß, fährt er mit dem Auto oder nimmt er die Bahn. Die Wahrnehmung ist unterschiedlich. Der Fußgänger misst die Gegend in Schritten, der Autofahrer gerät in Versuchung, abzubiegen – nichts verlockender als eine Autobahnabfahrt -, allein der Bahnreisende genießt eine Träumerei, er gerät nicht in Versuchung, irgendwo anzuhalten und genauer hinzusehn, er durchfährt die Landschaft wie einen Traum. In den Skizzen seiner Träumerei nimmt er überall Anteil, er lagert an jenem Weinberg, wohnt in jenem Schloss und kehrt in jenem vorübergleitenden Gasthaus ein.- Reisen bildet. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Im Reisen erfahren wir Erfahrung. Die wir in den eingereichten Arbeiten gespeichert finden. Ich kann hier kaum die einiger Künstler hervorheben, ohne andere zu benachteiligen. Man sieht ja wo sie waren: der Vorsitzende Rennertz in Korsika, Hüppi in Armenien, Bunk in Namibia, Frau Streile unter Palmen...

Deswegen erinnere ich an 3 nicht mehr lebende. Lambert Maria Wintersberger – sie sehen eine Szene bäuerlichen Lebens in Martinique, sie ist auch das Motiv auf dem Plakat für diese Ausstellung. Hans Thoma... wunderbare Skizzenbücher aus Italien... (sind aber nicht hier, sondern augenblicklich im Museum des 19.Jahrhunderts in der Lichtenthaler Allee) Und ich möchte an Diethard Blaudszun erinnern, ein Reiseskizzenanfertiger in Permanenz. War er eingeladen eine Ausstellung zu machen, in Pforzheim, Weil der Stadt oder Ludwigsburg, dann ging er dahin. 8 oder 10 Tage zu Fuß. Und zeichnete, vermaß und fotografierte und nahm mit, was auf dem Wege lag: einen toten Vogel, einen plattgefahrenen Frosch, Blätter, Blumen... Und stellte das im Kunstverein am Zielort aus...Seine Ausstellung war der Weg. 

Ehre den Toten 

Ich reiste in meiner frühen Jugend sonntags öfter in die Sowjetunion... mit der Eisenbahn... umsteigen in Berlin, Warschau und Moskau. Mein Vater war Eisenbahner und die Fahrpläne der Deutschen Reichsbahn und die der Deutschen Bundesbahn hatten bei uns einen Stellenwert, den in anderen Familien vielleicht die Bibel hatte.

Mein Vater lag auf dem Sofa im Wohnzimmer und sagte: Lass uns heute mal nach Wladiwostok fahren.

Fahrpläne zu lesen war keine leichte Kunst für ein Kind... Die komplizierten Abkürzungen... die richtigen Umsteigebahnhöfe... passende Anschlusszüge – war nicht so ohne. Also los:

Abfahrt 12Uhr12 von Hiltrup in Westfalen, Ankunft Münster 12Uhr31, Abfahrt Münster 15Uhr30, Ankunft Berlin-Friedrichstraße am nächsten Tag 5Uhr8. Weiterfahrt nach Warschau... – Nach drei Tagen waren wir morgens um 5 in Moskau, und mein Vater sagte, wollen wir uns nicht mal den Kreml ansehen? In Ordnung, also sahen uns den Kreml an... - von den bunten Türmen da hab ich gleich eine Skizze gemacht; ich hatte meine Buntstifte ja immer dabei -, Weiterfahrt 20 Uhr, am nächsten Tag in Perm, am übernächsten in Jekaterinburg, dann Nowosibirsk... Krasnojarsk und Irkutsk... und nach 10 Tagen waren wir in Wladiwostok, Ankunft 20:10.

Mein Vater sagte, wir müssen jetzt Mutter ein Telegramm schicken, dass wir gut angekommen sind. Also schrieb ich auf einen Zettel: Wladiwostok gut angekommen. Vater und Sohn wohlauf. Liebe Grüße...Und ging damit in die Küche, wo meine Mutter das Abendessen vorbereitete. Hier, ein Telegramm aus Wladiwostok, sagte ich. Danke, sagte sie, ich hatte mir schon Sorgen gemacht... 

 

Doris Lasar-k

 

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Doris Demant

 

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Beate Schnaidt

 

Da die Menschen nicht Tod, Elend und Unwissenheit heilen können, sind sie, um sich glücklich zu machen, auf den Einfall gekommen, nicht daran zu denken und sich zu zerstreuen. Ihr ganzes Unglück, sagt Pascal, rührt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können. Anstatt bequem auf dem Sofa zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen, treibt es sie hinaus. Sie nehmen die größten Unannehmlichkeiten in Kauf, nur um irgendwo anders zu sein als da, wo sie hingehören.

Kaum waren die Mauersegler abgereist dieses Jahr, kamen neue Reisende. Vom Dampfbad aus gut zu sehen: müde,  unfrohe Gestalten, sommerlich gekleidet, schlichen über den Marktplatz, zückten ihre elektronischen Geräte und fotografierten sich, den Marktplatz, das Schloss da oben und die drei Vasen vor der Haustür. Als erfüllten sie eine Pflicht oder einen von Apple erteilten Befehl. 

 

Warum reist man?  Neugier...Sehnsucht...Veränderung...Hoffnung... Man hälts manchmal nicht mehr aus und will nix wie weg. Reisen heute heißt Tourismus. Den gibt es in den Kategorien : Abenteuer-Event-Sex-Billigflug. Beispiel Event-Tourismus...mit dem Eintreffen der 3 Könige in Bethlemen verschmelzen Religionsgeschichte mit Event-Tourismus zu einem bis heute währenden Mythos. 

Bei Goethe war es so: er hatte die Nase voll. Seine Beziehung zu Frau von Stein kam nicht vom Fleck, das heißt, Charlotte von Stein verweigerte den sexuellen Vollzug. Das Ministeramt im Herzogtum Weimar war Goethe fad geworden... er wollte Maler werden und er wollte seinen Vater übertreffen.

 

Goethes Vater zehrte ein Leben lang von seiner Italienischen Reise, er erzog seinen Sohn in Begeisterung für Italien, sorgte auch dafür, dass Johann Wolfgang die Sprache beherrschte, war aber nie über Neapel hinausgekommen.

Der Sohn wollte ihn übertreffen und organisierte sich für seine Reise nach Sizilien eine Kodak. Goethes Kodak hieß Kniep. Kniep war Maler, und hatte auf Goethes Zuruf Land und Leute zu skizzieren. 

 

Skizze kommt aus dem Italienischen, schizzo, disegno di pintor, und meint in der alten Bedeutung, einen mit Bleistift -Feder – und manchmal auch mit Farben ausgeführten Entwurf zu einem Werke, das ausgeführt werden soll, zu eigner und fremder Beurteilung. Wir benutzen heute den Begriff Skizze für die unterschiedlichsten Unternehmungen in der Bildenden Kunst, der Fotografie, der Architektur, der Musik, der Literatur, der Vermessungstechnik, dem Bergbau, der Astrologie, der Raumfahrt, der Mathematik, der Medizin - denn bevor der Schönheitschirurg ihre Nase der der Nofretete angleicht, macht er erst mal eine Skizze... 

 

Skizze hat also etwas Vorläufiges und gleichzeitig etwas Nachläufiges. Vorläufig, weil der Reisende nicht viel Zeit hat - sein Hauptberuf ist ja Reisen -, und Nachläufig, weil er sich auf Grund der angefertigten Skizze an seine Reise erinnern kann. 

Bis ans Ende seiner Tage wurde Goethe nicht müde, die auf der Italienischen Reise von ihm und von Kniep angefertigten Skizzen hervorzuholen und sich der Erinnerung hinzugeben... Kommt hinzu, daß die Erinnerungen auch seine sexuellen Erfahrungen mit einschlossen, die er mit seiner Faustina genannten Freundin in Rom erlebte. Verarbeitet – skizzenhaft – in seinen Römischen Elegien. 

Die Gesellschaft der Freunde junger Kunst hat nun von ihren Mitgliedern Reiseskizzen eingefordert. Reiseskizzen – so die Gesellschaft – sind Arbeiten, die auf Reisen entstanden sind. Ob auf Papier, oder als Foto oder Stoff, ob als Folie oder was auch immer, ist den Ausschreibern egal. Allerdings haben sie eine umfangreiche Liste von Rahmenbedingungen geschaffen, deren wichtigste die Beschränkung des Formats ist: 24 x 30 cm. Das Ergebnis ist jetzt zu besichtigen.

 

Mutmaßlich sind die Aussteller der Meinung, dass auf einer Reise, die Blicke des Reisenden besondere Wahrnehmungsschärfe annimmt. Alles neu, alles anders, alles so bunt hier..

 

Gottried Benn hat ein Gedicht gemacht: es heißt Reisen und geht so: 

Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat? 

Meinen Sie, aus Habana,
weiß und hibiskusrot,
bräche ein ewiges Manna
für ihre Wüstennot? 

Bahnhofstraßen und Rueen,
Boulevards, Lidos, Laan –
selbst auf den Fifth Avenueen
fällt sie die Leere an – 

Ach, vergeblich das Fahren!
Spät erst erfahren Sie sich:
bleiben und stille bewahren
das sich umgrenzende Ich. 

 

Falls man Benn eingeladen hätte, eine Reiseskizze einzureichen, hätte er wohl ein Pilsglas gezeichnet. Seine Reisen bestanden - nach getaner Arbeit als Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten – in einem Gang um die Ecke zur Stammkneipe...wegen Durst...Da erlebte er sein umgrenztes Ich durch bleiben und Stille bewahren und wegen der vom Kellner herangebrachten Pilse, die seinen Körper im Laufe der Jahre selbst zu einer Art Pils-Glas formten. 

 

Es gibt ein Buch von Xavier de Maistre: Reise um mein Zimmer. Er hat es im Gefängnis geschrieben, in dem er saß weil er sich duelliert hatte, was unter Strafe stand. Reise um mein Zimmer ist ein Manifest der Entschleunigung. Darin wird das Vertraute als etwas Fremdes beschrieben. Eine hoch spannende Sache, in der alles Vertraute in eine ferne Fremde verwandelt wird. Eine großartige Poetik der Entschleunigung. 

 

Die Sie jetzt auch erleben können – ohne ins Gefängnis oder auf Reisen gehen zu müssen -, beim Rundgang durch die Räume des Dampfbads... Rundgang in 5 Räumen als Akt der Entschleunigung vorbei an all den Skizzen des Fremden... wild wirbelnde skizzenhafte Abzeichnungen einer mehr oder weniger als magisch empfundenen Welt.