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Einführung Marina Rüdiger

Rachel von Morgenstern öffnet den Blick durch die Leinwand.

Das ist zunächst einmal nichts Neues. Es gab im Laufe der Kunstgeschichte einige Charaktere, die auf unterschiedliche Weise mit diesem traditionellsten aller Träger von Malerei brachen.

Da war zum Beispiel Lucio Fontana, der in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Grenzen zwischen Malerei, Bildhauerei, Dichtung und Musik aufzulösen suchte. Für seine Arbeiten, die er „Concetto spaziale“ (zu deutsch Raumkonzept) nannte, durchstieß er seine meist monochrom bemalten Leinwände oder schlitzte sie auf. Der traditionelle Bildraum, die Fläche, auf der das Bild stattfand, war bis dato die Oberfläche der Leinwand. Ihre klaren Kanten waren durch den Keilrahmen definiert. Das Durchbrechen dieser Fläche öffnete nicht nur den sakralen Bildraum, sondern machte seine Arbeiten zu Raumarbeiten. Die Spur der aggressiven Geste blieb als Bild in der Leinwand verewigt. Und auch wenn es schade ist, einen so facettenreichen Künstler auf eine Werkgruppe zu reduzieren, so gibt es doch wenig, das so bildhaft für einen Bruch mit der verstaubten Tradition steht, wie die perforierten Leinwände Lucio Fontanas.

Auch Sigmar Polke suchte zu seiner Zeit, ab den sechziger Jahren, auf seine Art die Grenzen der traditionellen Kunstgattungen zu überwinden. Er arbeitete mit Film, Fotografie und Druck und mit chemisch experimenteller Malerei. Auf seine Leinwände applizierte er Raster und übertrug darauf Fotografien, wie man es aus der Pop Art zu kennen dachte. Jedoch widmete er, der sich in keiner Gattung fassen lassen wollte, sich dem Kapitalistischen Realismus. Mit viel Witz und Selbstironie kommentierte er die aktuelle politische Situation und warf ein Augenzwinkern auf den Beruf des Künstlers. Mit Lacken und Harzen ließ er die Leinwand durchsichtig werden und den Keilrahmen, die Wirbelsäule des Bildes, auftauchen. Ironisch-aufklärerisch machte er so das „Darunter“ der Leinwand sichtbar und setzte es in Bezug zu dem „Darauf“. Das aufscheinende Skelett der Leinwand kommentierte nicht nur die Malerei, die sich auf ihrer Oberfläche abspielte. Es tauchte auch auf wie die eiskalte historische Analyse von Renaissancemalereien, die immer wieder über das prachtvollste Leibergetümmel Linien ziehen muss, um auf die Grundlage des goldenen Schnitts zu verweisen.

Im Endeffekt sind es die Hierarchien des Zeigens, an denen sich sowohl Fontana als auch Polke, wie viele andere, die hier unerwähnt bleiben müssen, abarbeiteten. Wann ist ein Bild ein Bild, welcher Teil des Bildes ist Gerüst und welcher darf als Bild betrachtet werden?

Rachel von Morgenstern hier einzureihen ist schmeichelhaft, jedoch zu kurz gedacht, wie so oft, wenn man die Leichen der Kunstgeschichte aus dem Keller hervorlockt. Auch Rachel von Morgenstern öffnet den Blick durch die Leinwand und auch sie lässt den Raum dahinter zu einem Teil ihrer Bilder werden; und auch sie entführt die Malerei in den Raum. Sie tut dies jedoch auf ihre eigene Weise. Sie gibt ihren Arbeiten nicht nur einen Raum, sondern auch einen Körper. Dieser Körper ist weder aggressiv noch sucht er schmallippig die Maläste der Welt in Kunst zu ertränken.

Rachel von Morgenstern arbeitet mit Faltenwürfen. Sie schabloniert sie, knautscht sie hinter ihre durchsichtigen Malgründe und entlässt sie als Figurinen in den Raum. Ein letzter Blick zurück in die Kunstgeschichte erinnert daran, dass überbordende Faltenwürfe immer zwei Funktionen hatten. Zum einen ließ sich die Maîtrise eines Bildhauers oder Malers an kaum einem anderen Gegenstand so vorzüglich unter Beweis stellen. Zum anderen ist den Falten zu eigen, vorzüglich zu verhüllen und gleichzeitig das Augenmerk auf den verhüllten Gegenstand zu lenken. Zu verhüllen, was man eigentlich viel lieber zeigen oder gezeigt bekommen würde. Das rechte Licht spielt dabei eine wichtige Rolle, denn keine Transparenz wird ohne Licht sichtbar und zu viel Licht macht alles Transparente unsichtbar.

Rachel von Morgenstern stellt den Faltenwurf frei. Er ist das wiederkehrende Motiv ihrer Malerei und der Körper ihrer Skulpturen. Dabei sind diese Hüllen nie schüchtern oder zurückhaltend, sondern zelebrieren ein geschicktes Ent- und Verhüllungsspiel. Wie Dessous lassen die Stoffe den Keilrahmen keck durchblitzen und verschleiern so nicht nur den Anblick seines kahlen Skeletts, sondern thematisieren in Kommunikation mit der Malerei vielmehr das Enthüllungsspiel an sich. Rachel von Morgenstern sägt damit am Ast, der Leinwand, auf dem ihre Malerei zu sitzen beliebt. Das Resultat ist kein Absturz, sondern ein Sprung, in dessen Schwebemoment ihre Arbeiten einen Einblick erlauben, ohne ihn greifbar zu machen. Wo das eine Bild sich in zartem schwelgenden Blau zu ergeben scheint, ruft das andere mit aggressiven schwarzen Pointierungen in Erinnerung, wer hier den Pinsel (beziehungsweise die Spraydose) in der Hand hält. Ihre Malereien sind keck und verführerisch und machen dabei sichtbar, dass die Verführung nicht nur Hingabe ist, sondern Provokation. Und das Provokation nicht nur Aggression ist, sondern das bewusste Einsetzen von Reizen.

Text: Marina Rüdiger
Lektorat: Junia Thiede