Pit Klein: Einführung in die Ausstellung

- Mit der Harley Davidson über einen Weg, der nicht genommen wurde -

 

Der Titel dieser Einführung ist rätselhaft. Und das soll er auch bleiben. Bis zum Schluß.

In einem der Künstlerbücher von Christina Hemauer und Roman Keller (A Chronology of Energy- and Art-Related Developements) steht gleich am Anfang die Erklärung dafür, dass sie Kunst so machen, wie sie Kunst machen. Da steht u.a. (aus dem Englischen übersetzt): Wir vertreten die Auffassung, dass die Geschichte unserer Zivilisation seit undenklichen Zeiten mit der Geschichte unserer Energienutzung verflochten ist, dass kulturelle Errungenschaften Fortschritte im Umgang mit Energieresourcen ermöglichen und dass ebenso jede Änderung auf dem Gebiete der Energieumwandlung von der Kultur und von den Künsten widergespiegelt wird. Und auf meine konkrete Frage: Was ist für Euch Kunst, bekam ich folgende Antwort: Du wirst sehen, dass es uns immer um eine Tat geht...Uns geht es nie um eine Beschreibung oder die rein distanzierte Reflexion.

 

Alla gut, dachte und denke ich, dann wollen wir doch mal ein bißchen danach forschen, wie andere kompetente Leute Kunst gesehen haben und sehen. Christina ist Kunsterzieherin in einem Gymnasium in Zürich und Roman hat Umweltnaturwissenschaften an der ETH, der Eidgenössischen Technischen Hochschule, in Zürich und danach noch Fotografie studiert. Da sollen sie wohl kompetent sein, oder?  Also was war Kunst für den deutschen Dichter Jean Paul (1762-1823)? Kunst ist zwar nicht das Brot, aber der Wein des Lebens. Soll Jean Paul gesagt haben, der eigentlich Johann Paul Friedrich Richter hieß und aus einem Pfarrershaushalt stammte. Bemerkenswert an seiner Aussage ist, dass er selber Biertrinker war. Der Wein war also was Besseres für ihn. Die Kunst wohl auch. Picasso, was hat der gesagt? Viel, aber auch das: Kunst, wenn ich wüßte, was das ist, ich würde es für mich behalten. Alfonso Hüppi, lebt in Baden-Baden, ist selber Künstler und war Kunstprofessor, sagt, da dürfe ich ihn nicht fragen, er mache Kunst, aber was das sei, das wisse er nicht. Vielleicht entscheide das der Betrachter. Hoffentlich nicht, lieber Alfonso!

 

Peter Hupe, promovierter Ingenieur mit Professur, Kunstkenner und Kunstsammler. Ich gebe ihm das erwähnte Künstlerbuch von Hemauer/Keller und bitte ihn, mir auf die Sprünge zu helfen. Er gibt mir seinerseits zwei kleine Bücher. Das eine heißt Was ist Kunst?, und darin stehen 16 Essays von Michael Hauskeller, die 1997 und 98 in der Frankfurter Rundschau erschienen sind. Und das andere ist 1979 in der gelben Reclamreihe erschienen. Autor Werner Heisenberg. Titel: Quantentheorie und Philosophie. Da drin, so empfahl mir Peter Hupe, soll ich den Vortrag lesen: Die Bedeutung des Schönen in der exakten Naturwissenschaft, und er wies mich außerdem auf den Begriff der Entropie hin. Er legte mir die Entropie gewissermaßen ans Herz, und da konnte ich nicht widerstehen. Ich kuckte bei Wikipedia nach und da stand: Entropie kommt aus dem Altgriechischen und ist eine fundamentale thermodynamische Zustandsgröße. Und was macht die in der Kunst?  Und, ob man es glaubt oder nicht, sie macht einiges. Z. B. die Ausstellung Entropie: über das Verschwinden des Werkes. Diese Ausstellung bringt Arbeiten von internationalen Künstlern und Künstlerinnen zusammen, welche die Auffassung des Kunstwerkes als ein für die Ewigkeit geschaffenes, nicht mutierbares, messbares und physisches Objekt untergräbt, indem die Präsenz des Werkes dubios und wechselhaft, schwierig lokalisierbar und zufällig...ja selbst chaotisch wird. Da hängt die Kunst nicht an der an der Wand, da steht sie nicht im Raum. Da ist kein Rahmen drum, da ist kein Sockel drunter. Schwierig. Aber weiter im Ausstellungstext: Der Begriff der Entropie, welcher in der Thermodynamik und Informationstheorie verwendet wird und die Unstabilität und das Zufällige innerhalb eines Systems definiert, erhält eine konzeptionelle Definition. Da haben wir es doch:

 

Wärme tauschen - eine Ausstellung von Christina Hemauer und Roman Keller über die Entropie in der Kunst     

Hier könnte man einwenden, und das wird sicher auch getan, so etwas sprenge den Rahmen dessen, was Kunst sein kann. Gut, Karl Marx (1818 - 1883) war der Meinung, dass Kunst nicht ein Spiegel sei, den man der Welt vorhält, sondern ein Hammer, mit dem man sie gestaltet, so war der Marx eben, und Karl Kraus (1874 - 1936) hat gelästert: Kunst ist etwas, was so klar ist, dass es niemand versteht, aber damit war immer Kunst gemeint, die so war, wie das zum Beispiel Martin Heidegger (1889 -1976), anscheinend unbeeindruckt vom Prozess in der damaligen Kunstmoderne, in drei Vorträgen formuliert hat. Die hielt er 1936, und ihr Thema war: Der Ursprung des Kunstwerkes. Darin ging und geht es um die zeitlos gedachte Seinsweise von Kunstwerken, und ein Kunstwerk ist für Heidegger zunächst ein Ding. Es kann wie ein beliebiges anderes Ding an die Wand gehängt, in den Raum gestellt, transportiert und ausgestellt werden. Zerstört werden kann es auch. Der Eindruck, den es auf BetrachterInnen macht, lässt sich nicht davon trennen,  ob es Öl auf Leinwand, Wasserfarbe auf Papier, aus Stein, aus Holz oder aus was immer ist. Es lässt sich nicht von seiner Dinghaftigkeit trennen. Andererseits ist das Kunstwerk mehr als bloß Dinghaftes, nämlich insofern, als es über sich hinausweist. Auf etwas anderes, und dieses Andere bringt es mit dem Dinghaften zusammen. Ein Mensch ist kein Ding und andere Lebewesen sind es auch nicht. Im Alltagsverständnis wird also zwischen dinghaftem und nicht dinghaftem Sein unterschieden. Ein uns allen geläufiges Ding ist etwas aus einem bestimmten Stoff und mit einer bestimmten Form versehenes Hergestelltes. Dieses Hergestellte dient einem bestimmten Zweck, und, so Heidegger, ein solchermaßen Seiendes ist ein Zeug. Ein solchermaßen seiendes Zeug ist die Ausstellung Wärme tauschen sicher nicht, aber solchermaßen seiendes Zeug kommt in der Kunstgeschichte immer wieder nicht vor.

So lese ich bei Heisenberg in dem Reclamheft, dass schon Plato die materiellen Dinge für die unvollkommenen Schattenbilder  der unsichtbaren Ideen hielt, die dem solchermaßen seienden und sichtbaren Zeug zugrunde liegen. Und dass Plato und Pythagoras herausgefunden hatten, dass die unsichtbaren idealen Gestalten bzw. Ideen einer mathematischen Darstellung zugänglich sind, also einer exakten Formel, die es wiederum, dargestellt in Öl auf Leinwand, nicht leicht haben dürfte, den berühmten röhrenden Hirschen von der Wand zu verdrängen. Allerdings kann ich mir eine solche Ideenformel, entwickelt und dargestellt auf einem Computerbildschirm in dieser Ausstellung sehr gut vorstellen.

 

In demselben Jahr, in dem Heidegger seinen Vortrag über den Ursprung des Kunstwesens hielt (1936), veröffentlichte Walter Benjamin (1892 - 1940) den Aufsatz: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Im Gegensatz zu Heidegger beeindruckten ihn die Entwicklungen in der damaligen Kunstmoderne sehr. Foto und Film hatten das Tafelbild und das Schauspiel abgelöst. Einerseits stellte er fest, dass durch die Kopiertechnik das Original seine Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit verloren hatte, und das begrüßte er aus politischen Gründen. Andererseits musste er mit einem gewissen Bedauern erkennen, dass den Kopien die Aura  des Originals verloren ging. Die Aura, das war für Benjamin einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. Jede Kopie hat eine andere Entstehungsgeschichte. Das Original hat nur eine und unveränderlich einmalige, und die bleibt oft in Jahrhunderte weiter Ferne, selbst wenn das Original ganz nah vor meiner Nase hängt oder steht. Wie gesagt, Benjamin bedauerte den Verlust dieser Aura, begrüßte ihn aber politisch, denn die auratische Kunst diente in seinen Augen der Verfestigung des Bestehenden, war also unpolitisch, und er war für eine Politisierung der Kunst durch die Verlagerung des Schöpfungsprozesses vom Menschen und dem Kultwert auf die Apparatur. Er stellte sogar fest, dass diese Apparatur dem Menschen überlegen sein konnte. So sah er, dass die Kameratechnik ein tieferes und genaueres Eindringen in die sichtbare Wirklichkeit erlaubt: Der Maler beobachtet in seiner Arbeit eine natürliche Distanz, der Kameramann dagegen dringt tief ins Gewebe der Gegebenheiten ein. Ein Beispiel dafür geben Hemauer/Keller in dieser Ausstellung sehr anschaulich mit ihren Glühbirnen. An anderer Stelle habe ich dazu folgenden Text gefunden: Das Ende des Lebens - Beitrag zur Ineffizienz der Poesie. Die Serie von Fotos zeigt Glühbirnen in ihren letzten Sekunden. Rauch steigt von gebrochenem Glas auf, und jede Glühbirne überrascht mit ihrer eigenen Darbietung (für performance). Eine Glühbirne verglüht in poetischer Schönheit und ist als solchermaßen zweckdienliches Zeug  uneffizient geworden. Augenblicke, die mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar sind.

 

Bei Heidegger, soweit waren wir gekommen, war die Kunst zunächst nur ein Ding. Ist es aus einem Stoff und geformt und dient es solchermaßen einem Zweck, wird es zum hergestellten Zeug. Und dieses Zeug weist in der Kunst über sich hinaus. Wie das geht, beschreibt Heidegger anhand eines Gemäldes von Vincent van Gogh: Schuhe (1886). Darauf ist ein Paar alter Bauernschuhe abgebildet: Aus der dunklen Öffnung des ausgetretenen Inwendigen des Schuhzeuges starrt die Mühsal der Arbeitsschritte. Das schließt Heidegger aus der Zeughaftigkeit der Bauernschuhe: die Arbeitsschritte, klar, in Schuhen geht man und die Mühsal, weil er wusste, daß  so ein Bauernleben nicht leicht war. Das muss noch nicht unbedingt mit dem zu tun haben, was in der Kunst über sich hinaus weist. Das bahnt sich im Folgenden aber schon an: In der derbgediegenen Schwere des Schuhzeugs ist aufgestaut die Zähigkeit des langsamen Ganges durch die weithin gestreckten und immer gleichen Furchen des Ackers, über dem ein rauher Wind steht. Also die immer gleichen Furchen und den rauhen Wind sieht man den Schuhen kaum an. Die haben mit dem Informationsgrad des Betrachters zu tun. Aber dann geht Heidegger richtig in die Vollen: Unter den Sohlen schiebt sich hin die Einsamkeit des Feldweges durch den sinkenden Abend. In dem Schuhzeug schwingt der verschwiegene Zuruf der Erde, ihr stilles Verschenken des reifenden Korns und ihr unerklärtes Sichversagen in der öden Brache des winterlichen Feldes. Vom Ding über das Zeug zum Werk. Eine Betrachtung des Gemäldes Schuhe des holländischen Malers Vincent van Gogh (1853 - 1890). Sie geht unter Berücksichtigung des Dinghaften und Zeughaften in van Goghs Arbeit im Wesentlichen auf das darüber Hinausweisende, also das Werkhafte darin ein, welches das für ein Kunstwerk Entscheidende ist. Betrachter war der deutsche Philosoph Martin Heidegger. Der war, anders als Walter Benjamin, unbeirrt davon überzeugt, daß der Kunstwert im Auratischen, im Kultwert wurzelte. Und es besteht sogar die Wahrscheinlichkeit, dass für Heidegger die Kunst als solche aufhörte zu existieren, wo das ekstatische Sicheinlassen des Menschen in die Unverborgenheit des Seins der Vergangenheit angehörte. So vermutet zumindest der bereits erwähnte Michael Hauskeller.

 

Mit der Harley Davidson über einen Weg, der nicht genommen wurde. Bevor ich darauf komme, was das im Zusammenhang mit dieser Ausstellung soll, noch ein Letztes zur Entropie in der Kunst von Christina Hemauer und Roman Keller.

 

Da sie bewußt auf das traditionell Dinghafte und Zeughafte, ja sogar Werkhafte verzichtet, worauf verweist sie, über sich hinausgehend? Ich hatte da was gefunden, habe es den beiden vorgelesen, und sie waren damit einverstanden: Das Wesen und die Vollendung dieser Arbeiten liegt...bereits in der Vorstellung ihrer zukünftigen Auflösung begründet. Aus dieser 'destruktiven' Ausrichtung entsteht paradoxerweise ein äußerst vitales Moment: Nur was vergeht, wird (ewig) bleiben. Das Evolutionäre - der Wechsel von einem in den anderen Zustand oder Status - verweist letztlich auf das Fragile des menschlichen Seins. Hier hätte ich, das meinte spontan auch Christina, Schluss machen können, wäre da nicht noch die Harley Davidson auf dem nicht genommenen Weg. A road not taken. Ende der Siebziger ließ der damalige Präsident der USA, Jimmy Carter, auf dem Westflügel des Weissen Hauses in Washington DC Sonnenpanele zur Warmwasserbereitung installieren. Inzwischen sind sie im Museum of American History und verweisen auf das Fragile in nachhaltiger USamerikanischer Energienutzung. A road not taken, ein Weg der nicht eingeschlagen, der nicht genommen wurde. Christina Hemauer und Roman Keller haben das vielfältig dokumentiert. Und vielleicht können sie irgendwann einmal auch dokumentieren, wie sich der gegenwärtige 45. USPräsident, den der Dichter Jack Ridl nur Forty-Five nennt, mit Harley Davidson, die weit über die Ding- und Zeughaftigkeit eines Motorrades hinaus zum Mythos geworden ist, wie sich Forty-Five mit diesem Mythos angelegt hat. Und wie etwas schier Unmögliches möglich geworden ist. In dieser Ausstellung ist es möglich geworden, einen Stromumwandler einzusetzen, der extrem kleine Strommengen, wie sie Handwärme erzeugt, netzfähig machen kann. Das gab es unseres Wissens noch nie, und das verdanken wir dem Erfinder Uwe Schiefelbein. Warum sollte es dann nicht möglich sein, daß Harley Davidson eines Tages im Museum of American History landet und, über seine Motorradhaftigkeit weit hinausgehend, darauf verweisen kann, daß Forty-Five nicht wieder gewählt wurde? Dank Harley Davidson. 

 

Pit Klein